Inhaltsverzeichnis
Heute begrüßen wir Kristina Pelikan als Autorin in unserem Blog. Am Schweizerischen Tropen- und Public Health – Institut in Basel widmet sie sich u. a. internationaler und interkultureller Projektkommunikation, als wissenschaftliche Mitarbeiterin der TU Berlin gehören Fachsprachen zu ihren Schwerpunkten – beide Themen verbindend promoviert sie als Sprachwissenschaftlerin zu Kommunikationsoptimierung. Außerdem beschäftigt Sie sich damit, wie Wissenschaftler in internationalen Teams zusammen Dokumente erstellen…
Chausiku kommt aus Rukungiri und sitzt vor einer schwierigen Aufgabe.
Letztes Jahr hat sie in Uganda ihr Studium in Sozialwissenschaften erfolgreich abgeschlossen, und nun soll sie einen Text für den internen Newsletter eines Forschungsprojektes schreiben. Manche Texte dieses Newsletters werden auf der Projektwebseite veröffentlicht, was den Kreis der Rezipienten erweitert und Chausikus Druck erhöht. Wie soll sie diesen Text schreiben?
Chausiku arbeitet in einem Forschungsprojekt, das von Mitgliedern einer medizinischen Fakultät in Belgien geleitet wird, und an dem knapp 100 Projektmitglieder in sechs Ländern zusammen am Zugang zu bestimmten Medikamenten arbeiten. 11 verschiedene Muttersprachen und 9 verschiedene Fachrichtungen sorgen für eine sprachliche Heterogenität, der mit English als Lingua Franca begegnet wird. Wie schreibt Chausiku also nun diesen Text? Schreibt sie ihn alleine?
Collaborative Writing – das bedeutet?
Chausiku schickt ihren Entwurf der in der Schweiz arbeitenden Leiterin ihrer Arbeitsgruppe „Knowledge Management and Communication“, bevor er im nächsten Skype-Meeting mit dem gesamten Team besprochen wird. Die Arbeitsgruppe besteht aus mindestens einem Mitglied je Partnerinstitut – mit verschiedenen Muttersprachen und Fachsprachen. Chausikus Artikel wird somit sowohl von einem indischen Experten für ayurvedische Medizin als auch von einer britischen Politikwissenschaftlerin kommentiert. An jedem Text dieses Newsletters wird im Team gearbeitet – collaboratively. Collaborative Writing ist jedoch nicht gleich Collaborative Writing – Farkas nennt unterschiedliche Varianten, die Chausiku alle aus ihrem Projekt kennt. (Farkas 1991)
Bei Chausikus Projekt treffen sich die Projektmitglieder zu sogenannten „Writing Workshops“, um gemeinsam an Publikationen zu schreiben, sie arbeiten virtuell per Skype, Wiki oder Forum in Teams zusammen – zusätzlich zu „Local Meetings“ der Mitglieder nur eines Partnerinstitutes. Also arbeiten sie in unterschiedlichen Zusammensetzungen und mit unterschiedlichen Kommunikationsmedien gemeinsam an ihren Forschungsfragen und Publikationen – gefolgt von Diskussionen über Intellectual Property und Authorship.
Kollaboratives Schreiben ist jedoch nicht nur ein Austausch von Ideen, sondern auch ein Austausch von Skills in den Bereichen Fremdsprache, Fachsprache und wissenschaftliches Schreiben selbst. Chausiku hat in Uganda Sozialwissenschaften studiert und ihr Studium mit Auszeichnung abgeschlossen – die Zusammenarbeit in so einem heterogenen Team hat sie jedoch nie gelernt. Sie wird sie nun lernen – learning by doing!
We had world leaders!
Auf die Frage, warum es für die Mitarbeiter seiner Projekte bisher kein Training im Bereich Kommunikation oder wissenschaftliches Schreiben gab, war „we had world leaders“ die Antwort eines international renommierten Projektleiters. Fachkompetenz impliziert Schreibkompetenz im interkulturellen Umfeld. Somit ist auch Chausiku als wissenschaftliche Mitarbeiterin, die gerade in Uganda vor ihrem Text sitzt, ein World Leader?
Englisch kann ja eh jeder! Ab einem gewissen Bildungsniveau wird verhandlungssicheres Englisch vorausgesetzt. Nicht immer muss diese Varietät des Englischen dem Englisch eines Muttersprachlers gleichen – ist doch „Pseudoenglisch“ die neue Sprache Europas (Die Welt 2015) und auch außerhalb Europas anerkannt. Capacity Building in diesen Bereichen gibt es also in sehr vielen internationalen Forschungsprojekten in den Naturwissenschaften nicht.
… und das geht in so einem heterogenen Team?
Teamwork und effiziente Kommunikation sind das A und O in solchen Projekten. Selbstverständlich gibt es bei dieser sprachlichen Heterogenität
Verständnisschwierigkeiten und auch andere Hürden zu effizienter Kommunikation. Manche dieser Hürden lassen sich überwinden, wie Beispiele aus einem Forschungsprojekt zeigen (Pelikan 2015) . Chausiku kennt sich mit dem Thema ihres Artikels sehr gut aus – möchten die Projektleiter in Belgien den Text auch schön bunt haben, so wie sie es mag? Hier beseitigen einheitliche Templates für bestimmte Dokumente so manche interkulturelle Diskussion über afrikanisch-bunte versus europäisch-schlichte Texte – werden sie entsprechend erstellt und eingesetzt. Auch eine einheitliche Terminologie, ein projektspezifisches Corporate Wording, kann erheblich zur Verständlichkeit beitragen. Wird dieses nicht bewusst eingesetzt, kann sich ein projektspezifischer Fachwortschatz unter der Hand selbst entwickeln (Pelikan/Roelcke 2015) , der einen Teil der Funktionen eines Corporate Wordings übernimmt. Weiter erleichtern klar definierte Prozesse die Kommunikation – insofern sie in ein Kommunikationskonzept integriert sind, das dem Ansatz der integrierten Kommunikation folgt.
Training für World Leaders?
In der Wissenschaft wird Kommunikation nicht selten mit Dissemination, der Kommunikation von Forschungsergebnissen nach außen, gleichgesetzt. Die dabei oft vernachlässigte interne Kommunikation und auch das gemeinschaftliche Schreiben benötigen jedoch mehr Beachtung – und die Mitarbeiter ein entsprechendes Training: Chausikus Text wäre längst fertig! Tools ersetzen keine Skills: Chausiko hatte noch nie ein DMS gesehen, nun soll sie im dort integrierten Blog ihre Arbeit dokumentieren und sich im Diskussionsforum beteiligen. Schließen die Kollegen von Fachsprache auf Fachkompetenz? Aber auch Kollegen anderer Fachrichtungen sollen ja ihre Beiträge verstehen. Also schreibt sie besser nicht nur medial sondern auch konzeptionell schriftlich, dabei möglichst verständlich und verzichtet auf Emoticons? Auch solche Skills müssen erlernt werden.
Steigerung der Effizienz durch entsprechendes Training der Mitarbeiter und Optimierung der involvierten Prozesse, das sollte in Wissenschaft und Wirtschaft Usus sein. Kommunikationskonzepte sollten also nicht nur erstellt, sondern auch entsprechend in Schulungen vermittelt werden. So lassen sich auch Ansätze zur Kommunikationsoptimierung einfacher umsetzen – alle Mitarbeiter ziehen am gleichen Strang. Gerade World Leader mit hohen Zielen und engem Zeitplan sollten in diesem Bereich auf die Effizienz ihrer Arbeit und der ihrer Teams achten.
Es lebe die Heterogenität
Corporate Wording, Lingua Franca, Lexikalisches Leveling… Alles soll möglichst einheitlich sein – ganz im Sinne der Verständlichkeit und somit der Effizienz. Auf der sprachlichen Ebene hat dieser Ansatz durchaus seine Berechtigung. Auf der inhaltlichen Ebene überragt der Nutzen der Heterogenität. Verständlichkeit ist essentiell – aber woher weiß Chausiku, was der aus Polen stammende und in Belgien arbeitende Kollege versteht? Die Leiterin der Kommunikationsarbeitsgruppe ist als Sprachwissenschaftlerin sehr gut mit Makro- und Mikrostrukturen von Texten für Newsletter vertraut – der Kollege aus Indien hilft ihr beim Inhalt des medizinischen Fachtextes. Aus der Heterogenität der einzelnen Arbeitsgruppen lässt sich signifikanter Nutzen ziehen – sowohl in der Kommunikation, als auch in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Das geht ausgezeichnet über die Distanz von vielen Tausend Kilometern. Die virtuelle Zusammenarbeit hat viele Vorteile – bereits beim gemeinsamen Brainstorming beginnend.